
Timing im Börsenhandel – so funktionierts
Als privater Trader hat man oft schnellere und klügere Marktakteure, die gegen einen handeln. Alles ist ein Wettbewerb um den optimalen Preis. Entweder man hat die besseren Informationen oder das schnellere System. Doch mit etwas psychologischem Umdenken kann man sein Risikobewusstsein auch dahingehend trainieren, dass man sich einen Vorteil durch besseres Timing verschafft. Sie müssen lediglich erkennen, dass das Risikopotenzial eines späteren Einstiegs in der Regel höher ist. Oder anders gesagt: Wer früh einsteigt, kann sein Chance/Risiko-Profil deutlich aufbessern.
Warum Trader sich am Timing die Zähne zerbeißen
Timing ist nicht nur im Trading das Schlüsselwort. In so gut wie jeder Branche wirtschaftlicher Aktivitäten zieht sich das Wörtchen durch die Bank hindurch. Doch gerade im Trading wird deutlich, wie treffend die Aussage „Zeit ist Geld“ zum gut getimten Einstieg passt.
Leider ist Timing alles andere als einfach. Unsere Instinkte stehen uns beim Anpassen vom richtigen Timing immer im Weg. Oder können Sie von sich behaupten, stets nach dem Motto „Jetzt oder nie“ vorzugehen, bevor Sie eine schwerwiegende Entscheidung treffen? Eher nicht, denn das widerspricht unserer gewünschten rationalen Vorgehensweise beim Treffen relevanter Entscheidungen.
Aufgrund dessen ist das richtige Timing nicht nur eine Frage der Handelstechnik, sondern auch der Psychologie. Unser Risikobewusstsein lässt uns in dem Glauben, dass man lieber auf Nummer sicher gehen sollte. Im Trading hängt Timing vor allem von der Strategie und der Technik ab. Hat man eine Strategie, die sehr regelfest und starr ist, macht es wenig Sinn, sich Gedanken um das richtige Timing zu machen.
Das Risiko wird nämlich über die starren Regeln kontrolliert. Andererseits ist beim mittel- bis langfristigen Anlegen das Timing durchaus wichtig, besonders wenn die Märkte über einen längeren Zeitraum sehr schwankungsbreit sind. In diesem Fall übernimmt das Timing nicht nur die Aufgabe eines vorteilhaften Einstiegs, sondern ist auch Teil des Risiko-Managements.
Wichtige Time Trading Begriffe
Breakout: Ausbruch des Kurses aus einer Unterstützung, einem Widerstand, einer Formation et cetera.
Fakeout: Ein scheinbarer Breakout nach dem sich der Kurs aber in die entgegengesetzte Richtung bewegt (Fehlausbruch).
Hammer: Bullische Ausprägung eines Candlesticks*: Eine Kerze mit langem unteren Schatten, kleinem Körper und kleinem oder keinem oberen Schatten. Der Hammer ist vor allem am Ende einer Abwärtsbewegung interessant. In einer Aufwärtsbewegung heißt dieses Muster Hanging Man.
Short Squeeze: Marktsituation, in der ein Kurs durch (unfreiwillige) Deckungskäufe von Leerverkäufern verstärkt nach oben getrieben wird.
SKS-Formation: Eine Schulter-Kopf-Schulter(SKS)-Formation besteht aus zwei Schultern, einem Kopf und der Nackenlinie, welche die beiden Schultern miteinander verbindet. Eine solche Formation tritt meist am Ende starker Trends auf und kann eine übergeordnete Umkehr einleiten.
Übernacht-Kurslücke: Ein Overnight-Gap ist eine Kurslücke, die über Nacht entsteht, wenn es beispielsweise kursrelevante Nachrichten gab. Zur nächsten Eröffnung des Handels kann so eine sichtbare Lücke im Chart entstehen.
Edge: Edge ist ein umgangssprachlicher Begriff im Trading. Er beschreibt den Vorteil eines Handelssystems gegenüber anderen Systemen oder den Erfahrungsvorteil eines diskretionären Traders.
Breakeven: Der Breakeven ist der Zeitpunkt, ab dem das Verlustrisiko bei Null ist, also die Stopp-Loss-Order auf Kauf- beziehungsweise Verkaufskurs liegt (ohne Berücksichtigung der Transaktionskosten).
Chance/Risiko-Verhältnis: Beim Chance/Risiko-Verhältnis wird das Gewinnpotenzial eines Trades ins Verhältnis zum festgelegten Verlust gesetzt. Ein hohes CRV spricht für ein günstiges Risikoprofil, da die Chance (deutlich) höher ist als das Risiko.
Denn ein früher Einstieg ermöglicht Stopps, die weit genug entfernt liegen. Das wiederum ermöglicht es, Positionen auch bei größeren Rücksetzern durchzuhalten und längerfristige Bewegungen mitnehmen zu können, ohne zwischendurch ungünstig ausgestoppt zu werden.
Der Trader muss sich allerdings überlegen, ob für seine Strategie das frühe Timing überhaupt wichtig ist. Handelt er überwiegend Breakouts und hält seine Positionen bei jedem Trade einheitlich über eine festgesetzte Anzahl von Punkten oder Pips, ist es für ihn irrelevant, ob er den gesamten Trend mitnimmt oder nicht.
Seine Performance erreicht er nicht über die maximale Haltezeit, sondern über viele einzelne Trades, die nur an einem kleinen Teil des Trends partizipieren. Der Trader, der wiederum eine Strategie verfolgt, bei der er so viel wie möglich vom Trend mitnehmen möchte, muss sich sehr wohl Gedanken über das Timing machen.
Nicht umsonst gilt die Regel „Kaufe tief, verkaufe hoch“. Die Aussage hört sich vielleicht simpel an. Wäre sie wirklich so simpel, dann wären wir bereits alle professionelle Investoren und reich. Die Schwierigkeit liegt also in der Umsetzung und damit in unserer Psyche.
Sie als Trader sollten Ihr Risikobewusstsein so trainieren, dass Sie in einem frühen Einstieg eher Chancen als Gefahren erkennen.
Erkennen Sie die Vorteile eines frühen Einstiegs
An dieser Stelle möchten wir die Vor- und Nachteile von frühen und den durch einen Ausbruch bestätigten späten Einstiegen gegenüberstellen. Möglicherweise erkennen Sie dann, dass keine gravierenden Unterschiede bestehen. Was könnte zum Beispiel passieren, wenn Sie versuchen, das Ende eines Trends zu antizipieren, noch bevor es durch ein technisches Setup bestätigt wird?
- Der Trend könnte sich fortsetzen und Sie werden ausgestoppt.
- Der Trend endet tatsächlich und Sie sind früh genug eingestiegen.
Und was könnte passieren, wenn Sie erst auf eine Bestätigung warten, die weiter entfernt erfolgt (zum Beispiel durch einen Ausbruch entgegen der Trendrichtung)?
- Bei dem Ausbruch handelt es sich um einen Fakeout, der Trend setzt sich fort und Sie werden ausgestoppt.
- Der Ausbruch wird bestätigt und es etabliert sich ein neuer Trend.
Ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der vorherige Trend fortsetzt wirklich größer, als dass es einen Fakeout gibt? Wer kann das schon so genau sagen? Und ist es überhaupt wichtig, das zu wissen? Kommt es nicht eher darauf an, seine Position so aufzubauen, dass sie im gesamten Verlauf des Trades vorteilhafter ist?
Chance/Risiko-Verhältnis (CRV)
Gehen wir im Folgenden von einem Long Trade aus. Ein Einstieg (schwarze Linie in Bild 1) nahe des Tiefs und eine Stopp-Loss-Order (rote Linie), die etwas unter dem Tief der vorhergehenden Kerze liegt, ermöglicht in vielen Fällen nicht nur ein besseres CRV, sondern kann bei größeren Schwankungen den zu früh erfolgten Stopp-Out per Stopp-Loss-Order verhindern, wie das Beispiel eindeutig belegt.
Zwar weist der Abstand bei fest definierten Stopps stets das gleiche Verlustrisiko auf, dennoch wäre der Trade, dessen Entry früher erfolgt, erst dann ausgestoppt, wenn die wirklich wichtige Unterstützung (untere Trendlinie) gebrochen wird und nicht bereits mit Verlust vorher. Der späte Einstieg knapp unterhalb von 10 000 Punkten war zwar in der Richtungswahl ebenfalls richtig, aber das Risiko, im Fall eines ganz normalen Rücksetzers ausgestoppt zu werden, lag hierbei deutlich höher.
Das Verlustrisiko stellt sich nämlich nicht nur zahlenmäßig in Punkten dar, sondern auch über ein vorteilhaftes Setup. Ein ungeübtes Risikobewusstsein kann uns glauben lassen, der frühe Einstieg sei zu riskant – in Wirklichkeit aber verpassen wir so vielleicht den eigentlich besten Einstiegspunkt, der es uns ermöglicht, den Trade später optimal managen zu können. Bild 2 soll verdeutlichen, warum ein früher Einstieg mehr zum Risiko-Management beiträgt als das Warten auf den Ausbruch über das letzte Hoch.
Der Entry (schwarze Linie) erfolgt nach Ausbildung einer Wendeformation. Der Kurs bricht zuvor aus dem Aufwärtstrendkanal aus und bildet ein Breakout-Hoch. Nach einer kurzen Korrektur in den Trendkanal hinein überwiegen doch wieder die Bullen und der Kurs schließt positiv oberhalb der Trendlinie.
Die Stopp-Loss-Order wird zunächst unter das Tief gelegt. Bei dem darauffolgenden dynamischen Anstieg kann die Stopp-Loss-Order schnell nah an den Kaufkurs gelegt und damit der Breakeven erreicht werden.
Das Risiko eines Verlusts kann auf diese Weise, abgesehen von einer Übernacht-Kurslücke, voll ausgeschaltet werden. Wie ersichtlich, wäre diese Taktik durchaus komfortabel gewesen, da der Kurs kurze Zeit später in eine längere Korrekturphase überging.
Wäre der Entry erst bei Überschreiten des letzten Hochs erfolgt (rote Linie), so wäre es für ein Nachziehen des Stopps auf Kaufkurs zu früh gewesen und damit hätte der Stopp mit einem Verlust gegriffen.
Die richtigen Timing-Werkzeuge wählen
Wie erkennen Sie nun, ob ein frühzeitiger Einstieg sinnvoll ist und funktioniert? Gegenfrage: Woran erkennen Sie, dass ein Ausbruch wirklich nachhaltig ist? Eigentlich gar nicht, denn auch das ist nur eine Erwartung, die auf Annahmen beruht. Wenn man annimmt, dass ein Ausbruch ein zuverlässigeres Signal ist, lassen sich Strategien darauf aufbauen.
Statistisch betrachtet führen Ausbrüche allerdings oft zu Fakeouts. Das ist auch der Grund, warum klassische Ausbruchsstrategien oft niedrige Trefferquoten haben. Die Werkzeuge, mit denen man interessante Setups, wie etwa ein Reversal, identifizieren kann, basieren in der Regel auf der Technischen Analyse.
Ein Hammer in einem Abwärtstrend zum Beispiel ist ein Signal für entstehenden Kaufdruck. Nun kann es natürlich durchaus sein, dass bei einer Gegenbewegung nur Stopps (Short Squeeze) verarbeitet werden und der Trend sich kurz darauf wieder fortsetzt. Denn nicht jeder Hammer generiert ein Einstiegssignal, sondern ist nur etwas, dem man erhöhte Beachtung schenken sollte.
Eine klassische Bodenbildung, die auf ein Tief folgt und höhere Tiefs ausbildet, wäre beispielsweise ein gutes Setup für ein nachhaltiges Reversal. Unterstützt durch technische Momentum-Indikatoren wie den Relative Stärke Index (kurz: RSI) kann eine weitere Filterung erfolgen.
Dabei sind Divergenzen* zwischen dem Indikator und dem Kurs zuverlässige Signale für aufkommende Schwäche des aktuell vorliegenden Trends. In Bild 3 befindet sich der Markt Ende Januar in einem Abwärtstrend. Der RSI bestätigt diesen Trend durch die gleichverlaufende Linie. Zwischen dem 27. und 30. Januar werden im Kurs immer tiefere Tiefs ausgebildet. Der RSI verhält sich aber genau umgekehrt – er weist eine positive Divergenz auf, was eine Schwäche des aktuellen Abwärtstrends bedeutet und auf eine Trendwende hindeutet.
Wie Sie Timing im Scalping nutzen können
Im Trading geht es vor allem darum, sich einen Vorteil gegenüber der Masse zu erarbeiten. Entweder man erreicht dies durch ein ausgefeiltes Risiko-Management in Verbindung mit starren Regeln und somit längerem Zeitverlauf, oder man entwickelt Einstiegstechniken, die von vornherein einen Vorteil bieten.
So ist es mittlerweile besonders im ultrakurzfristigen Handel, auch Scalping genannt, bei dem man nur einige wenige Punkte lang investiert ist, gängige Praxis, konterintuitiv zu kaufen beziehungsweise zu verkaufen. Man hält an wichtigen Levels sozusagen „dagegen“. Gemeint ist die aktuelle Kursrichtung.
Auch das ist eine Timing-Strategie, deren Anwendung ein psychologisches Umdenken erfordert. Durch die Identifikation von relevanten Unterstützungen oder Widerständen auf höherer Zeitebene kann sich auch im kurzfristigen Handel ein Vorteil ergeben. Man verbindet sozusagen die Zuverlässigkeit der Level auf höherer Zeitebene mit den wahrscheinlichen kurzfristigen Gegenbewegungen.
Bild 4 zeigt ein gutes Beispiel, bei dem es an jedem Level mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest eine kurze Gegenbewegung gab (Kreise), die mittels Scalping gehandelt werden konnte. Weitere wichtige Levels in der Chartanalyse stellen Unterstützungen und Widerstände dar. So auch in Bild 5 zu sehen. Gold wies seit Ende August 2015 einen starken Abwärtstrend auf. Der Kurs fiel dabei immer wieder auf die Unterstützung von 1115 US-Dollar je Unze zurück. Nach dem starken Kursabfall änderte sich allerdings das Bild. Das Niveau bei 1115 USDollar konnte als neuer Widerstand für einen Scalping Short Trade genutzt werden.
Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass es eine Gegenbewegung an wichtigen Levels gibt, ist sehr hoch – auch, wenn das Level kurze Zeit später nicht halten sollte. In diesem Fall kommt man in der Regel aber bei entsprechend frühem Einstieg zumindest ohne Verlust aus dem Trade. Zu beachten ist bei dieser Form des Scalpings allerdings, dass die Ordererteilung zumindest für die definierten Stopps bereits einprogrammiert sein sollte. Es besteht nämlich die Gefahr, dass man manuell nicht schnell genug reagieren kann.
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Fazit: Für das richtige Timing braucht man Mut
Fassen wir zusammen. In der Regel hat ein früherer Einstieg ein besseres Risikoprofil. Und zwar aus folgenden Gründen:
- Die Position ist im Verlauf besser zu managen, wenn sich der Trend erst einmal etabliert hat. Stichwort Trailing-Stopp. Es gibt somit die Möglichkeit, das Risiko früher auszuschalten und entsprechend besser an entstehenden großen Bewegungen zu partizipieren.
- Schwankungen während einer Bodenbildung können besser überstanden werden. Die Wahrscheinlichkeit, ungünstig ausgestoppt zu werden, ist geringer als bei späterem Einstieg.
- Stopp-Loss-Orders können relativ nah an den entscheidenden Punkten gesetzt werden, ab denen die erwartete Kursrichtung des Trades nicht mehr gültig ist. Bei späterem Einstieg wären diese Punkte deutlich weiter entfernt, was das CRV beeinträchtigen würde.
Ein später Einstieg hat dagegen kaum Vorteile – außer dem Vermitteln der vermeintlichen Sicherheit durch eine Bestätigung der Trade-Richtung, beispielsweise einem Ausbruch über das letzte Hoch. Beim Scalping erweist sich das Gegenhalten an wichtigen Levels als gute Timing-Strategie, da eine zumindest kurze Gegenbewegung an diesen Zonen mit hoher Wahrscheinlichkeit eintritt.
Davon abgesehen ist das bessere Timing oft davon abhängig, welche Strategie man verfolgt, welche Setups man zur Identifikation eines möglichen Reversals heranzieht und ob man genug Mut aufbringt, sich gegen sein Sicherheitsbedürfnis zu stellen. Unsere Titelgeschichte hat deutlich gemacht, warum viele Trader durchaus daran interessiert sein sollten, ein gutes Timing zu erzielen. Der frühe Einstieg in einen Trade vor dessen technischer Bestätigung erfordert Mut und ein Umdenken, das sich aber auszahlen kann.
Denn das Risiko eines Trades besteht nicht nur darin, was man im negativen Fall verlieren kann – sondern auch, wie das Risikoprofil der gesamten Position mit dem gewählten Einstieg aussieht und wie vorteilhaft sich die Optionen zur Positionsverwaltung im Gewinnfall entwickeln. Und hier kann der frühe Einstieg deutliche Vorteile bieten.